HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

AUSGABE #48 6/2022 105 Öffentlich wurde das Thema erst, als die beiden Spielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger beim BVB kündigen wollten, der das zunächst ablehnte, und die beiden Spielerinnen danach an die Öffentlichkeit gingen. Michelmann: Das muss man den beiden hoch anrechnen. Sie waren die ersten, die nicht nur an sich gedacht und mit dem Schritt in die Öffentlichkeit eine Lawine losgetreten haben. Dazu gehört viel Mut. Und jetzt wird die Kommission die gesamte Sachlage umfassend aufarbeiten. Das lässt sich ja auch an der Zusammensetzung der Kommission ablesen. Eine Soziologin, ein Kriminologe, eine Diplom-Sportwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Prävention sexualisierter Gewalt, eine Psychologin, eine Fachberaterin, benannt vom Landessportbund NRW, einem Trainer aus der Praxis und mit Angela Marquart eine Vertreterin betroffener Athleten, die einst selbst sexualisierte Gewalt erfuhr. Am Ende müssen wir unsere Frühwarnsysteme möglicherweise optimieren sowie den Trainerinnen, Trainern und allen weiteren im Umfeld arbeitenden Personen ein Rüstzeug an die Hand geben, damit auch in der Zukunft Leistungssport möglich ist. Ein ganz wichtiger Aspekt, den Sie aufgreifen: Als Trainer einer Profi-FrauenMannschaft lebt man ja in diesem Spannungsfeld Leistungssport. Es ist offensichtlich ein ganz schmaler Grat zwischen dem, was ein Trainer leistungsfördernd zu seinen Spielerinnen sagt, und wo er Grenzen überschreitet. Michelmann: Richtig! Auch das soll die Kommission ausarbeiten und uns Vorschläge machen. Was aber jetzt schon deutlich wird: Bislang bewegen wir uns mit keinem Sachverhalt im Bereich des Strafrechts. Das kann sich durch Erkenntnisse der Kommission ändern, bis heute aber ist das der Stand. Wir bewegen uns aber im Bereich der Frage, ob und wie wir im 21. Jahrhundert miteinander umgehen können oder wollen – vor allem imVerhältnis zwischen Trainer und Athletin. Es braucht am Ende eine Mischung aus Leistungsanspruch und Respekt. Das klingt sehr theoretisch, schließlich muss ein solcher Leistungsanspruch kommuniziert werden. Michelmann: Das weiß ich, aber darauf muss es hinauslaufen, auch wenn hinsichtlich des berechtigten Leistungsanspruches nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden sollte. Das ist doch unzweifelhaft. Anderenfalls stelle ich das Prinzip Leistungssport doch infrage. Dennoch muss es einen respektvollen Umgang mit den Menschen geben. Haben Sie zu Beginn der Causa Fuhr mit einemderartigenMedienecho gerechnet? Michelmann: Ich habe geahnt, dass die Raketen nicht an uns vorbeifliegen, weil wir eine handfeste Krise hatten. Mit Abducken und Warten wären wir ganz schlecht gefahren. Es ist unsere Pflicht, umfassend und vorbehaltlos aufzuklären. Deshalb haben wir sofort über eine externe und unabhängige Kommission nachgedacht und diese auch ins Leben gerufen. Und diese Kommission soll nun herausfinden, was da falsch gelaufen ist. Wann dürfen wir mit Ergebnissen der Kommission rechnen? Michelmann: Man sollte den zeitlichen Aufwand solcher Kommissionen nicht unterschätzen. Das wird so lange dauern, wie es nötig ist. Außerdem geht es ja auch darum, nicht nur negativ zu beurteilen, sondern am Ende auch konstruktiv zu sagen: Welchen Trainertyp wollen wir denn nun? Niemand will prügelnde Polizisten, aber Polizisten, die keine Weicheier sind, wollen alle. Jeder Trainer muss Leistung herauskitzeln, aber seinen Spielerinnen auch den erforderlichen Respekt entgegenbringen. Das ist am Ende ein schmaler Grat. Das führt auch zu Verunsicherung. Und was kostet es den Verband? Michelmann: Wir rechnen grob mit rund 100.000 Euro. Das können 20.000 Euro mehr oder auch weniger werden. Könnte mit dieser Kommission für den gesamten Leistungssport ein Stein ins Rollen gebracht werden? Michelmann: Professor Dr. Christian Pfeiffer, Mitglied der Kommission, erzählte mir, dass ungefähr ein Prozent aller Kinder und Jugendlichen, die Sport treiben, sexualisierte Gewalt erfahren. In der Gesamtheit ist das eine viel zu große Zahl und damit ein extrem wichtiges Thema, wenn wir wollen, dass Eltern auch künftig ihre Kinder zum Sport bringen sollen. Das Thema sexualisierte Gewalt ist ja nicht neu. Hat der DHB in der Vergangenheit nicht genau genug hingeschaut oder fehlte die Empathie für solche Themen? Michelmann: Doch, doch! Es gibt Beauftragte innerhalb des Verbandes für dieses Thema. Zudem muss jeder Trainer ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis beibringen. Und es gibt ein Protokoll, wie in welchen Fällen zu reagieren ist. Das Problem ist, dass diejenigen, die sich solcher Übergriffe schuldig machen, immer intelligentere Systeme schaffen, mit denen sie ihr Tun verschleiern. Oft kommen solche Dinge ja nur durch Zufall ans Tageslicht, weil es schwierig ist, diese Leute zu enttarnen. Arnulf Beckmann 

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