HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

AUSGABE #48 6/2022 7,50 EURO 45 EXTRA SEITEN WM-SPECIAL JULIAN KÖSTER Erstaunlich reif und bodenständig FÜCHSE BERLIN Vom Verfolger zum Titelkandidaten NIKLAS LANDIN Der Welthandballer auf Abschiedstour

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AUSGABE #48 6/2022 3 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, außerordentliche Ereignisse erfordern eine außerordentliche Berücksichtigung. Aus diesem Grunde halten Sie, verehrter „HANDBALL insider“ mit der letzten Ausgabe in diesem Jahr 2022 auch mal wieder ein ganz besonders umfangreiches Magazin in den Händen. Im Januar steht in Polen und Schweden die 28. IHFHandball-Weltmeisterschaft an. Und damit Sie am 11. Januar des kommenden Jahres mindestens so gut vorbereitet in dieses Turnier gehen wie die Auswahl des Deutschen Handballbundes, haben wir unseren Umfang um 30 Seiten erweitert. Wir schenken Ihnen ein fettes Infopaket mit allen wissenswerten Fakten und jeder Menge Lesestoff rund um die Veranstaltung im Allgemeinen, und rund um die deutsche Mannschaft, Spieler, Trainer und andere Teilnehmer im Besonderen. Gemeinsam mit Ihnen werden wir die Daumen drücken, dass das Team von Trainer Alfred Gislason im globalen Kräftemessen so lange wie möglich im Turnier bleibt und über Kattowitz und Danzig zum großen Finale nach Stockholm reisen darf. Wir bleiben international: Unabhängig von der WM traf sich die Redaktion des HI mit Kiels Starkeeper Niklas Landin und sprach mit ihm neben so wichtigen Themen wie Champions League und Meisterschaft auch über viele private Dinge. Und auch die Europameisterschaft der Frauen, die Ende November in Slowenien zu Ende ging, hat in einer kritischen Nachbetrachtung ihren Platz. Was die Bundesliga betrifft, so ging unser Mitarbeiter Christoph Dach der Frage nach, warum die Berliner in dieser Saison vom Jäger zum Gejagten geworden sind und die Konkurrenz aus Kiel, Magdeburg, Mannheim und Flensburg zur großen Füchse-Hatz geblasen hat. Mehr noch: Auch das Zweitliga-Phänomen Potsdam mit seinem prominenten Trainer Bob Hanning, die Handball-Damen des BVB nach der Causa Fuhr, ein starkes Stück vom Präsidenten dazu sowie Nachhaltiges und Historisches soll Ihnen – wie immer – großen Lesespaß bereiten. Besinnliche Weihnachtsfeiertage, einen guten Auftakt im Neuen Jahr und eine spannende Weltmeisterschaft wünscht Ihnen Arnulf Beckmann Dieses Bild lässt die Herzen von FlensburgFans höherschlagen. Ab 2003 soll dieser Bus für viele Jahre das SG-Team durch die halbe Welt befördert haben und diente für die Handballer als zweites Wohn- und Schlafzimmer. Einige meinen allerdings, dass es sich auch um ein Plagiat handeln könnte – in Afghanistan sollen deutsche Beschriftungen eine große Beliebtheit genießen. Der Diskussion im Netz setzt der ehemalige SG-Fahrer Sven Zankl ein Ende, der den Bus an einem kleinen Unfallschaden erkennt: Den Aufkleber an der Stoßstange soll ein WaschhallenMitarbeiter von Autokraft angebracht haben. Wie man sieht, sieht man nichts. Auf dieser Wand im Foyer der Blomberger Halle an der Ulmenallee hing lange ein Bild der Architekten des Blomberger Aufstiegs, Harald Wallbaum und André Fuhr. Nun sahen wir bei unserem Ortsbesuch, da dieses Foto im Zuge des Skandals um den Missbrauch im Frauenhandball abgenommen wurde, nur noch vier Dübel und schattenhafte Umrisse. Ein Symbol des Schocks, den der deutsche Handball mit dieser Geschichte traf. Foto: Erik Eggers Foto: Facebook

4 AUSGABE #48 6/2022 INHALT 6 SANDERS PROPHEZEIUNGEN 8 NACHGEFRAGT bei Pascal Hens 9 NEWS 14 KOLUMNE von Uwe Gensheimer 16 JEDER VERDAMMTE JANUAR Zum großen WM-Block #48 Hoch motiviert vor der WM: Die deutsche Nationalmannschaft will sich in Polen zeigen Foto: Beate Haar

AUSGABE #48 6/2022 5 INHALT 18 KEINE DURCHGANGSSTATION Das DHB-Team muss bei der WM 2023 abliefern und für die EURO 2024 lernen 22 ERSTAUNLICH REIF UND BODENSTÄNDIG Julian Köster im Porträt 28 VON HAVANNA NACH DOHA Rafael Capotes abenteuerlicher Weg 30 JEDER ANFANG IST SCHWER Bogdan Radivojević Sehnsucht nach einer WM-Medaille 32 ARBEITSLOS IN ALGIER Weshalb der algerische Handball leidet 34 DAS MASKOTTCHEN ALS SYMBOL Die Gastgeber Schweden und Polen blicken mit Zuversicht auf die WM 38 ALLE WM-TEILNEHMER 42 WIR HABEN EINE ANDERE HANDBALL-KULTUR Dänemarks Coach Nikolaj Jacobsen im Exklusiv-Interview 48 TOR NACH EUROPA Der Iraner Pouya Norouzi spielt seine zweite WM 50 SPRUNGBRETT EYNATTEN Das belgische Märchen des Nick Braun 52 DER AMERIKANISCHE TRAUM Das Team USA macht Fortschritte 54 (B)RANDGESCHICHTEN Die etwas andere WM-Historie 60 ALLE SPIELE, ALLE TORE 62 SOCIAL MEDIA 64 WIR SIND EINE RICHTIGE MANNSCHAFT! Jannik Kohlbacher im Interview 68 VOM VERFOLGER ZUM TITELKANDIDATEN Der Höhenflug der Füchse Berlin 74 SPANNENDE KOOPERATION Bob Hanning über den VfL Potsdam 78 SEHNSUCHTSORT KÖLN 16 Clubs wollen zum REWE Final4 80 MICHELMANNS RECHNUNGEN DHB-Bundesrat erhöht Mitgliedsbeiträge 84 NORWEGEN EUROPAMEISTER 86 AUS MISSERFOLGEN LERNEN Die Analyse der Frauen-EURO 94 NUR EIN PROZENT Die HBF vergibt ihre TV-Rechte 98 DAS PROTOKOLL Warum Mia Zschocke und Amelie Berger beim BVB kündigen mussten 104 AUF EIN WORT mit Andreas Michelmann 106 EINE MEDAILLE FÜR ALLE! Die glücklichste Liga Deutschlands 108 DU BIST NICHT BESSER ALS DEIN LETZTES SPIEL Kiels Niklas Landin im Interview 114 CHAMPIONS LEAGUE-NEWS 116 DER GRÜNE BALL – TEIL IV 118 VORANGEHEN – FÜR KOMMENDE GENERATIONEN Paul Drux über Nachhaltigkeit 123 SPIEL, SPORT UND SPASS beim Aktionstag HandbALL TOGETHER 126 DAS WÄRE EIN TOLLER HÖHEPUNKT GEWESEN Klaus Westebbe erinnert sich an die 70er Jahre 130 IMPRESSUM Foto: Glücksliga/Agentur Herzstück Foto: Beate Haar Foto: Beate Haar 108

Foto: imago

Sander Sagosen hatte im Sommer mehrfach erklärt, dass er bis spätestens Dezember auf das Spielfeld zurückkehren will – das hat er jetzt schon mal geschafft. Der THW-Star hatte sich im Bundesligaendspurt der letzten Saison seinen linken Knöchel gebrochen und das Syndesmoseband gerissen. Ganze 175 Tage nach dieser schweren Fußverletzung meldete sich der 27-Jährige imHeimspiel gegen den VfL Gummersbach eindrucksvoll zurück. Die komplette Wunderino Arena jubelte und Sagosen bedankte sich für den herzlichen Empfangmit seiner gewohnt dynamischen Spielweise und einem spektakulären Treffer. Von Blessuren, Reha und Schmerzen keine Spur, absolvierte der Norweger dann gleich drei Spiele in acht Tagen. Nach der knappen Niederlage beim Champions League-Sieger Barcelona, reisten die Kieler zum Angstgegner Wetzlar und gewannen mit Sagosens Hilfe nach 37 Monaten zum ersten Mal wieder in der Buderus Arena (Bild). Zu Beginn der aktuellen Saison hat der Rückraumstar nicht nur den Zeitpunkt seines Comebacks prophezeit. Er kündigte auch an, in seinem letzten Jahr als Zebra noch einmal die deutsche Meisterschaft gewinnen zu wollen – spätestens am 11. Juni wird sich herausstellen, ob Sagosen hellseherische Fähigkeiten besitzt. SANDERS PROPHEZEIUNGEN

8 AUSGABE #48 6/2022 NEWS Menschen auf Ihrem Erfolgslevel denken vermutlich doch eher über eine Biografie nach. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Kinderbuch zu schreiben? Pascal Hens: Wenn man sich umschaut, so viel Lektüre mit einem Handballbezug speziell für Kinder gibt es bisher noch gar nicht. Ich bin ja selbst Vater und die Idee dazu entstand während eines Interviews. Es kam noch eine Co-Autorin und eine Illustratorin dazu und das Projekt „Ein Ball für Piet“ nahm schnell Gestalt an. Worum geht es in dem Buch? Hens: Das Buch will die Botschaft vermitteln: „Mit einem Ball bist du niemals alleine“. Die Geschichte handelt von einem kleinen Jungen, der mit seiner Familie umgezogen ist und plötzlich in einer neuen Umgebung ganz ohne seine Freunde klarkommen muss. Ein sprechender Handball, den der kleine Piet von seiner Oma geschenkt bekommen hat, wird nicht nur sein ständiger Begleiter. Er hilft ihm auch dabei, auf der spannenden Abenteuerreise seine Ängste abzubauen und neue Freunde kennenzulernen. Wie viel hat die Figur Piet mit dem kleinen Pascal Hens zu tun? Hens: Ich kam zum Handball, als ich eingeschult wurde. Das ist die Parallele. Ich war neu in der Klasse, kannte die Kinder noch nicht, komischerweise spielten aber gleich fünf Klassenkameraden Handball. ImUnterschied zur Figur im Buch hatte ich keine Angst. Der Mannschaftssport ermöglichte mir einen schnellen Anschluss an die Gruppe und schenkte mir viele neue Freunde. Und ich habe hier den Teamgedanken kennengelernt, der mich dann durch meine ganze Karriere begleitet hat. Handball ist viel mehr als nur ein Sport, das soll auch die Geschichte vom kleinen Piet zeigen. Hatten Sie als Kind wirklich keine Ängste? Hens: Ich kann mich noch an meine erste Klassenfahrt erinnern, von der mich meine Eltern vorzeitig abholen mussten, ganz angstfrei kann ich also dann doch nicht gewesen sein (lacht). Aber Berührungsängste mit anderen hatte ich nie. Durch meine eigenen Kinder und über Gespräche mit einigen Eltern sieht man verschiedene Themen auch mal von einer anderen Seite. Beispielsweise ein Umzug oder ein Schulwechsel kann jedes Kind schnell verunsichern. Der Sport und das Gefühl, zu einem Team zu gehören, baut diese negativen Gefühle schnell ab. Das ist auch die Message des Buches. Klingt nach einem perfekten Weih- nachtsgeschenk. Hens: Ein Buch kurz vor Weihnachten herauszubringen, ist wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt. Welche Altersklasse hat mit dem Buch den größten Spaß? Hens: Ab vier Jahren ist die Geschichte für Kinder verständlich, das ist gleichzeitig auch das Alter, wo man sich im Handball bei den Minis anmelden kann. Meiner Tochter lese ich abends gerne noch eine Geschichte vor, sie ist jetzt acht. Unseren zwölfjährigen Sohn kann ich natürlich nicht mehr mit Märchen und Co. begeistern (lacht). Sicherlich haben Sie auch die Kinder Ihrer Handballer-Freunde längst mit dem Buch versorgt. Wie waren die Reaktionen aus dem Hause Lindberg und Lackovic? Hens: Sehr positiv! Aber auch über Instagram bekomme ich viele tolle Rückmeldungen und Anerkennung. Das Buch scheint den Kindern und den Eltern zu gefallen und das ist das Wichtigste. … und wann kommt die Pascal Hens-Biografie? Hens: Das wird man sehen. Mittlerweile habe ich ja auch neben dem Handballfeld und in unterschiedlichsten TV-Formaten so viel erlebt und spannende Menschen kennengelernt, dass eine Biografie schon interessant sein kann. Aber ich denke, es kommen auch in der Zukunft noch weitere spannende Projekte auf mich zu – vielleicht lohnt es sich, ein wenig zu warten. Zita Newerla  Foto: Beate Haar BEI PASCAL HENS, DER SICH WIEDERHOLT IN EINER NEUEN ROLLE ÜBT: DIESMAL ALS AUTOR EINES KINDERBUCHES. NACHGEFRAGT

HANDBALL inside wird für seine Abonnentinnen und Abonnenten etwas Neues schaffen: den exklusiven HANDBALL inside Abo Club. Dieser wird im Laufe des Januars online gehen und damit, als Ergänzung zu den Printausgaben, einen exklusiven Vorteils-Club bieten. Alle Leserinnen und Leser, die unser Magazin abonniert haben, werden danach von zahlreichen Aktionen und Vorzügen profitieren. Über diese Aktionen werden wir Sie dann regelmäßig informieren. Was wir schon sagen können: Alle Club-Mitglieder erhalten die Möglichkeit, bereits eine Woche vor Veröffentlichung auf die aktuelle Ausgabe zuzugreifen und diese online zu lesen. Darüber hinaus stehen alle historischen Ausgaben in unserem Online-Archiv als eMagazin zur Verfügung. Außerdem möchten wir unsere Abonnentinnen und Abonnenten mit Neuigkeiten rund um das Thema Handball versorgen. Sie profitieren also von weiteren redaktionellen Inhalten. Zusätzlich werden die Geschichten des Magazins durch verschiedene Vorteile, Prämien sowie Promotion-Codes ergänzt. Die regulären Ausgaben von HANDBALL inside werden weiterhin sechsmal im Jahr (alle zwei Monate) erscheinen und an die Abonnentinnen und Abonnenten per Post versandt. Jeder reguläre Abonnent erhält automatisch Zugang zum Abo Club. Jetzt für den Newsletter anmelden Registrieren Sie sich bereits jetzt für den HANDBALL inside-Newsletter. Dann bleiben Sie auf dem Laufenden und erfahren, wann der neue Abo Club an den Start geht und wie Sie sich dafür registrieren können. Gehen Sie und klicken oben rechts auf den Button „Newsletter“. Für die Anmeldung brauchen Sie lediglich Ihren Namen und Ihre E-Mail-Adresse einzutragen. Anschließend erhalten Sie regelmäßig Infopost per Mail von HANDBALL inside. Hier auch ein QR-Code für den Newsletter: IN EIGENER SACHE: DER HANDBALL INSIDE ABO CLUB KOMMT 2023 Anzeige Präsentiert von den Sportfreunden Loxten OWLARENA|HALLE (WESTF.) 12./13.08.2023 SO-TECH CUP www.so-tech-cup.de TICKETS SICHERN: 05201 8180 owl-arena.de Mikkel Hansen und Co. live erleben beim intern. Handballturnier mit Top-Mannschaften!

10 AUSGABE #48 6/2022 NEWS Euro wird der Freundeskreis des Deutschen Handballs e.V. auch im Kalenderjahr 2023 für Projekte zur Förderung des Jugendhandballs und des Schiedsrichternachwuchses bereitstellen. Silvester endet die Antragsfrist. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Mehr als eine halbe Million Euro hat der Freundeskreis des Deutschen Handballs e.V. (FDDH) ausgeschüttet, seit er 1991 auf Initiative von Henning Opitz gegründet wurde, um die Entwicklung des Kinderhandballs und der jugendlichen Unparteiischen zu fördern. Finanziert wird das – neben Spenden – vorwiegend aus den Beiträgen der Vereinsmitglieder. Selbst die Pandemie habe keine Delle verursacht, erklärt der FDDH-Vorsitzender Thomas Weber auf Anfrage: „Wir sind nicht nur stabil geblieben. Wir haben unseren Bestand sogar um etwa zehn Prozent auf 220 Mitglieder erhöhen können.“ Für das Jahr 2023 werde der FDDH wieder „weit über 30.000 Euro“ an die förderungswürdigen Projekte ausschütten. „Grundsätzlich antragsberechtigt sind der DHB, insbesondere die DHB-Jugend, die Landesverbände, Vereine oder deren Handballabteilungen sowie als gemeinnützig anerkannte Institutionen, die das Handballspiel oder das ehrenamtliche Engagement in der Handballjugend fördern wollen und sich mit ihrem Mitgliedsbeitrag im FDDH engagieren.“ Der Antrag dafür erfolgt formlos an die E-Mail-Adresse des Vereins (info@fddh.de). Die Frist dafür endet allerdings bereits am 31. Dezember 2022, so dass nur noch wenige Tage verbleiben. Zwei Förderschwerpunkte hat der FDDH für das Jahr 2023 festgelegt. Neben dem Motto „Kinder für den Handballsport begeistern“ ist das die „Förderung von Kinder- und Jugend- Beachhandball.“ Sollten die Fördermittel nicht ausgeschöpft werden, können auch andere interessante Projekte in den Genuss von Zuschüssen kommen. Eine Voraussetzung für eine Förderung besteht außerdem darin, dass die unterstützten Projekte auch öffentlich gemacht werden – mit Hinweis auf den FDDH. Der Vereinsvorsitzende Weber hofft nicht nur auf viele Bewerbungen. Sondern auch auf einen reibungslosen Ablauf der geplanten Aktionen: „Leider mussten zuletzt einige Veranstaltungen wegen der Pandemie ausfallen.“ 30.000 Entgegen der bisherigen Planung sollen die meisten Spiele des olympischen Handballturniers 2024 nun doch in Paris stattfinden. Ursprünglich hatte das Pariser Organisationskomitee das Turnier sämtlich im nordfranzösischen Lille austragen lassen wollen, das 225 Kilometer entfernt liegt. „Es sieht aber jetzt so aus, als würde die Vorrunde des Turniers in Paris stattfinden“, erklärte der Sportdirektor des Weltverbandes IHF, Patric Strub, auf Anfrage. Ein geeigneter Standort in einer Messehalle sei inzwischen gefunden worden, noch sei die Entscheidung darüber aber nicht endgültig gefallen. „Das hätte viele Vorteile, vor allem für die Sportlerinnen und Sportler“, sagt Strub. „Denn dann könnten sie weitgehend im Olympischen Dorf untergebracht werden.“ Die Befürchtung der IHF-Verantwortlichen, die gesamte Sportart würde durch den entfernten Standort ins Abseits gestellt, wäre damit vom Tisch. Die K.-o.-Phase aber, die mit dem Viertelfinale beginnt, ist weiterhin in Lille geplant. Dieser Modus wäre eine Umkehr der Praxis bei den ersten Turnieren des olympischen Hallenhandballs. Nicht nur 1972 (München) und 1976 (Montreal) waren die Vorrunden außerhalb der Gastgeberstädte ausgetragen worden. OLYMPIA-VORRUNDE IN PARIS Foto: FDDH

12 AUSGABE #48 6/2022 NEWS Die geschäftliche Beziehung zwischen DHB und Männer-Bundesliga (HBL) ist für die Zeit bis 2026 im Grundsatz geregelt. Laut HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann war Mitte Dezember über wesentliche Teile des Grundlagenvertrages, der das Verhältnis zwischen Dach- und Ligaverband regelt, Einigung erzielt worden: „Es sind aber noch einige Details zu klären.“ Der alte Grundlagenvertrag war ursprünglich bis 2022 befristet gewesen, aber zu gleichen Konditionen bis Sommer 2023 verlängert worden. Bohmanns ursprüngliche Absicht, den Vertrag für zehn Jahre auszuhandeln, ließ sich nicht realisieren, da die Vorstellungen beider Parteien zu weit auseinanderlagen. Der DHB soll eine Verdoppelung der bisherigen LigaZahlung (650.000 Euro) gefordert haben – der neue millionenschwere TV-Vertrag der HBL mit Dyn Media, der 2023 anläuft, hatte entsprechende Begehrlichkeiten geweckt. Die HBL lehnte diese Forderung aber mit Hinweis auf die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiekrise ab. Die Clubs könnten die Konsequenzen der Krisen noch nicht wirtschaftlich abschätzen, argumentierten die HBLVerhandler. „Die Clubs müssen infolge des TVVertrags auch in Personal investieren“, sagte Bohmann. Insofern ist der neue Grundlagenvertrag ein finanzieller Kompromiss. Dem Vernehmen nach erhöht sich die jährliche Zahlung der Liga um rund 20 Prozent auf gut 800.000 Euro – bis Sommer 2026. GRUNDLAGENVERTRAG: EINIGUNG IN SICHT Auch für die 28. Männer-WM in Polen und Schweden fordert der Ausrichter, die Internationale Handball Föderation (IHF), von den Aktiven eine Impfung gegen das Corona-Virus. „Es gilt im Prinzip die 2G-Regel“, erklärte IHF-Sportdirektor Patric Strub auf Anfrage. Teilnehmen dürfen demnach alle Athleten, die zweimal geimpft und geboostert sind, und alle diejenigen, deren letzte CoronaInfektion höchstens sechs Monate alt war. Diese Nachricht sorgte nach Informationen von HANDBALL inside für Unruhe beim DHB, da Spielmacher Juri Knorr (Löwen) auf die EURO 2022 verzichtet hatte, weil er sich mit Hinweis auf seinen stets überprüften Immunstatus nicht impfen lassen wollte. Allerdings könne es auch zu Ausnahmegenehmigungen kommen, erklärte Strub. Dafür sei die Medizinische Kommission der IHF zuständig. IMPFPFLICHT BEI WM Sie hat weit über 30.000 Follower bei Twitter. Und die SPORT BILD nannte sie im Mai „die mächtigste Fußball-Mama der Welt“. Fayza Lamari, 48, jedenfalls stand über viele Monate im Fokus der Fußballfans, als es um die Frage ging, ob ihr Sohn Kylian Mbappé künftig bei Real Madrid oder weiter bei Paris St. Germain auf Torejagd gehen würde. Denn der derzeit beste Fußballer dieses Planeten hat keinen Spielerberater, sondern lässt sich auch in Vertragsangelegenheiten von seiner Mutter managen. Das Resultat war ein unfasslicher Rekordvertrag: Das Volumen für drei Jahre liegt bei angeblich 600 Millionen Euro. In Wirklichkeit ist die Mutter aber eine Handball-Mama. Denn Lamari, die in Algerien geboren wurde, spielte als Rechtsaußen bei AS Bondy. Sie sei „eine emblematische Spielerin“ gewesen, berichtete Bondys Clubpräsident der Zeitung Parisien – sehr kämpferisch und heißblütig auf dem Feld. Offenbar interessiert sich die Managerin auch weiterhin für ihre frühere Leidenschaft. Wie das Foto belegt, besuchte Lamari im März das Heimspiel der PSG gegen Nantes, gemeinsam mit ihrem berühmten Sohn. FAYZA LAMARI: DIE MÄCHTIGSTE HANDBALL-MAMA DER WELT Foto: imago

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14 AUSGABE #48 6/2022 Als ich mir Ende November im Spiel gegen Erlangen einen akuten Muskelfaserriss zugezogen habe, fühlte sich das an, als würde man aus einem schönen Traum brutal geweckt werden. In den ersten Spieltagen der Bundesliga waren wir Löwen auf einem richtig guten Weg. Lediglich die Reisen in Richtung Norden, zum THW Kiel und nach Hamburg, brachten uns leider kein Glück, sonst lief alles nach Plan. Und ehrlich gesagt habe ich dann natürlich auch große Lust auf die anstehende Fuchsjagd verspürt, denn ein Spiel gegen den aktuellen Tabellenführer hat immer seinen besonderen Reiz. Nur fünf Tage vor so einem Topspiel verletzungsbedingt auszufallen, das hat mich wirklich wahnsinnig geärgert. Für solche Brüche, Zerrungen und sonstige Blessuren gibt es natürlich nie einen optimalen Zeitpunkt! Davon kann sicherlich auch mein Mitspieler Halil Jaganjac ein Lied singen, der nach dem besagten Erlangen-Spiel an der Schulter operiert werden musste. Unser kroatischer Nationalspieler spielt von Anfang an eine zentrale Rolle, ist sowohl im Angriff, als auch in der Abwehr kaum ersetzbar. Sein Ausfall schmerzt wirklich sehr, zumal die Mannschaft jetzt improvisieren und kurzfristig umdenken muss. Glücklicherweise meldete sich gerade Lukas Nilsson aus dem Reservistenlager zurück, somit sind wir zumindest von der Breite des Kaders wieder so aufgestellt, dass wir Defizite einigermaßen kompensieren können. Die Laune im Team ist dagegen unverändert gut. Derzeit macht es richtig Spaß! Trotz der Tatsache, dass unsere Weste nun nicht mehr allzu weiß ist, sind wir Löwen immer noch extrem hungrig und ziehen unseren neuen Weg weiterhin konsequent durch! Dieses Selbstbewusstsein hat rein gar nichts mit Arroganz zu tun. Diese Mentalität hilft uns, als Team auch in kritischen Situationen ruhig zu bleiben und enge Spiele am Ende für uns zu entscheiden. Eine Verletzung bedeutet nicht, dass man plötzlich mehr Freizeit hat. Selbstverständlich bin ich bei jeder Trainingseinheit mit der Mannschaft zusammen, absolviere täglich meine Reha und gehe fleißig in den Kraftraum. Mein Ziel, das ich mir selbst gesetzt habe, ist vielleicht etwas zu ehrgeizig, aber ich will eigentlich im Pokalspiel am 20.12. gegen die MT Melsungen unbedingt wieder auf der Platte stehen. Wenn ich das schaffe, dann ist mein Comeback sozusagen ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst. Und im Januar schauen wir dann alle wieder auf die deutsche Nationalmannschaft und ihren Auftritt bei der Weltmeisterschaft. Ohne Frage: In der Gruppe mit Serbien, Katar und Algerien werden die Jungs den Gruppensieg anstreben. Die Mannschaft hat sich in der jüngsten Vergangenheit allerdings oft mit unterschiedlichen Gesichtern gezeigt. Ich wünsche dem Team, dass es schnell ein konstant hohes Level erreicht, und dann, das wissen dieMänner am besten selbst, ist ja alles möglich! Wo ich die Weltmeisterschaft schaue, weiß ich noch nicht genau. Aber ich werde die Spiele auf keinen Fall verpassen, so viel steht fest – ich drücke jetzt schon ganz fest die Daumen! KOLUMNE – VON UWE GENSHEIMER: Mein Weihnachtswunsch Euer Uwe Foto: Kempa

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Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. So beginnt „Ein Jahr“, bekanntester Track der legendären Band Fehlfarben aus dem Jahr 1980. Zeilen, die auch als Motto des heutigen Profihandballs dienen könnten, da sich die besten Athleten in jedem verdammten Januar zum Kräftemessen treffen, um die beste Handballmannschaft einer Nation zu ermitteln. Im Januar 2023 wieder in zwei Ländern bei der 28. IHF-Weltmeisterschaft in Polen und Schweden. Es ist ein hoher Takt der Turniere. Und die Europameisterschaft gilt, da es dort keine Teams gibt, deren Niveau stark abfällt im Vergleich zu den Favoriten, als die sportlich noch größere Herausforderung. Aber noch immer sind es vor allem die Weltmeisterschaften, welche die größten Mythen des Handballs schaffen. Es gibt kein Turnier, das einen größeren Einfluss auf die Szene in Deutschland ausgeübt hat als die WM 1978 und das „Wunder von Kopenhagen“, den 20:19-Finalsieg der DHB-Auswahl gegen die Sowjetunion – die Namen Heiner Brand, JoachimDeckarm oder Kurt Klühspies sind populär bis heute. Auch die sowjetischen Stars um Below, Anpilogow oder Karschakewitsch trugen sich mit ihrem Sieg 1982 in Dortmund ins Geschichtsbuch ein. Auch wenn die Erinnerungen an große Mannschaften seit 1993 manchmal etwas verschwimmen, weil seither jedes Jahr WM und die EM im Wechsel ausgespielt werden, so prägten vor allem die WM-Championate die Zeitalter großer Mannschaften: die Ära der Schweden seit ihrem überraschenden Triumph 1990 in Prag; die Konjunktur der kroatischen Mannschaft um Ivano Balic 2003; das deutsche „Wintermärchen“ 2007 in Köln; die französische Übermacht zwischen 2009 und 2017; schließlich die Dominanz Dänemarks seit 2019. Auch wir beJeder verdammte Januar Die 28. IHF-Weltmeisterschaft in Polen und Schweden (11. bis 29. Januar 2023) ist der Höhepunkt des Handballjahres. Wir würdigen das mit einem großen Block. Eine Einführung.

schäftigen uns in dieser Ausgabe, die einen Schwerpunkt auf die kommende WM setzt, mit der WM-Historie. Freilich geschieht das nicht mit einem klassischen Blick auf die sportliche Geschichte. Sondern vielmehr in kleinen Anekdoten, die über das Treiben abseits des Handballfeldes erzählen – und mit einem Augenzwinkern. Wie sich die beiden Gastgeber Polen und Schweden auf die Weltmeisterschaften vorbereitet haben, welche Ziele sie verfolgen und welche äußeren Einflüsse das Turnier bedrohen, davon erzählen zwei der wichtigsten Protagonisten in exklusiven Gesprächen: einerseits der große Schwede Stefan Lövgren, der früher den THW Kiel und das Nationalteam anführte, andererseits der Chef des polnischen Organisationskomitees, Prof. Bogdan Sojkin. Die Nachfrage nach Tickets scheint, wie beide versichern, jedenfalls äußerst vielversprechend. Demnach steht ein Fest bevor. Wir schauen weiterhin auf die Lage bei drei krassen Außenseitern, die mit ganz unterschiedlichen Gemütslagen und Hoffnungen nach Schweden und Polen reisen: Auf den WM-Debütanten Belgien, der zuletzt mit starken Resultaten aufwartete. Auf die USA, die sich nach langer Zeit wieder sportlich für die WM qualifizierten. Und auf den Iran, der zum zweiten Mal nach 2015 dabei ist und sich aktuell in einer tiefen gesellschaftlichen Krise befindet. Zudem hat sich der dänische Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen für uns viel Zeit genommen, um seine Sicht der Dinge auf die aktuellen Entwicklungen im Leistungshandball zu vermitteln. Er erklärt auch, warum der Quell der dänischen Toptalente scheinbar nie versiegt, warum ältere Topstars in Dänemark – anders als in Deutschland – unbedingt im Nationalteam auflaufen wollen. Und warum er das deutsche Team eher nicht zu den Favoriten zählt. Last but not least diskutieren wir selbstverständlich auch die Situation im deutschen Team. Zu den größten Versprechen im deutschen Rückraum zählt seit der letzten EURO der Gummersbacher Julian Köster. Ihn haben wir für ein ausführliches Porträt besucht. Der 22-Jährige, der sich anschickt, in die Fußstapfen großer Halblinker wie Pascal Hens zu treten, erzählt dabei auch von seinemAlltag in seiner Kölner Wohngemeinschaft. So hoffnungsvoll die Entwicklung weiterer Profis wie Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt) oder Juri Knorr (Rhein-Neckar Löwen) im Herbst war: Die Erwartungen an die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason sind gedämpft. Dies nicht nur, weil mit Hendrik Pekeler und PatrickWiencek (THW Kiel) die besten deutschen Abwehrkräfte fehlen. Auch blieb lange unklar, ob Julius Kühn (MT Melsungen) rechtzeitig wieder fit genug werden würde. Topfavoriten sind die deutschen Profis, die keine Atempause kennen, also nicht. Aber das waren Deckarm & Co. auch nicht, als sie, zwei Jahre vor der Gründung der Fehlfarben, 1978 in Kopenhagen Geschichte machten. Erik Eggers  Fotos: imago

18 AUSGABE #48 6/2022 Immer dann, wenn sich die deutschen Handballer in der Vergangenheit auf den Weg zu einer Großveranstaltung machten, hatten sie stets eine Zielvorgabe seitens der Verbandsführung im Gepäck. Und fast immer lautete das Mantra: Das Halbfinale soll es schon mindestens sein, das sei doch nun einmal der Anspruch des größten Handballverbandes der Welt. An diesem Ziel aber scheiterte die Auswahl des Deutschen Handballbundes weit häufiger als dass es gelang, sich unter die besten vier Teams der Welt zu spielen. Seitdem Heiner Brand den Posten des Bundestrainers nicht mehr bekleidet – er trat vor elf Jahren zurück –, gelang das nur noch 2016 bei der EM und bei Olympia und 2019 bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Gut möglich, dass das einer der Gründe ist, weshalb sich die Verbandsoberen im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2023 in Polen und Schweden mit Erwartungen und Ansprüchen dieser Art diesmal dezent zurückhalten. „Grundsätzlich wollen wir das auch diesmal wieder, aber auf dem internationalen Handballmarkt haben sich mittlerweile viele Mannschaften auf ein hohes Niveau gespielt”, sagt Axel Kromer. „Mittlerweile ist jedes Spiel sehr fordernd.” Der Vorstand Sport des Verbandes kennt dabei die Mechanismen des Marktes zu gut. Werden hohe Ziele verfehlt, wird vieles infrage gestellt. Und das wollen sie beim DHB ein gutes Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Lande unbedingt vermeiden. Und nicht nur das: In der Folge der Heim-EM soll nicht nur die Olympia-Qualifikation gelingen, sondern nach Möglichkeit auch bei Olympia selbst eine Medaille herausspringen. Insofern überlassen Kromer und Co. solche Einschätzungen inzwischen lieber den Spielern selbst. „Eine Zielformulierung ist letztlich eine Sache”, sagt er, „die entwickelt sich aus dem Team heraus.” Zudem begleitet die Mannschaft ein gerüttelt Maß an Ungewissheit auf dem Weg zur Vor- und hochwahrscheinlich auch zur Hauptrunde ins polnische Kattowitz. Der Umbruch, den Bundestrainer Alfred Gislason – zum Teil notgedrungen – einleiten musste, verlief holpriger als geplant. Schuld daran waren vor allem die Pandemie und die daraus resultierenden Folgen, die auch jene Europameisterschaft im Januar 2022 zur Farce hatte werden lassen. „Da wollten wir eigentlich schon die ersten Schritte auf dem Weg zur EURO 2024 machen”, sagt Kromer. Doch rund eineinhalb Dutzend coronabedingte Ausfälle und ebenso viele Nachnominierungen gaben zwar vielen Spielern die Möglichkeit, sich zu präsentieren, aber an eine ordentliche Arbeit mit der Mannschaft war überhaupt nicht zu denken, weil die Spieler im slowakischen Bratislava in Jogginghose und mit Mundschutz in der Halle standen. Keine idealen Voraussetzungen für Profisport. Kromer weiß, dass die deutsche Mannschaft nun raschere und größere Entwicklungssprünge machen muss. „Wir backen in der Öffentlichkeit kleine Brötchen, wollen aber intern sicher auch mal wieder gegen Gegner wie Frankreich gewinnen.” Insofern ist im Dezember 2022 lediglich gewiss, dass vieles ungewiss ist. Sicher aber ist mittlerweile, aus welchem Pool der Chef-Übungsleiter der deutschen Ballwerfer seinen 18erKader für die WM auswählen darf. 35 Spieler musste Gislason im Spätherbst benennen, unter denen erstaunlicherweise mit Linksaußen Rune Dahmke lediglich ein Kieler Spieler vertreten ist. Nach den Rücktritten von Steffen Weinhold und Patrick Wiencek und der selbst verordneten Nationalmannschaftspause von Hendrik Pekeler eine nahezu folgerichtige Entscheidung des Bundestrainers. „Das sind Sachen, die uns wehtun”, sagt Kromer, der ebenso wie Gislason aber nach wie vor im Gespräch mit Pekeler ist. „Dass er eine Pause macht, ist nachvollziehbar, aber in meinem Verantwortungsbereich nicht wünschenswert. Es gibt einen Fahrplan für seine Rückkehr, aber das ist aktuell nicht die Zeit, das zu kommunizieren.” Klingt danach, als  Keine Durchgangsstation Bundestrainer Alfred Gislason soll mit seinem neu formierten Team rund um Spielmacher Juri Knorr bei der WM abliefern. Gleichzeitig muss das Team für die EURO 2024 lernen.

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20 AUSGABE #48 6/2022 stünde der Kreisläufer und Abwehrstratege des THW zur Heim-EM in einem Jahr wieder zur Verfügung. Weniger Verständnis zeigt Kromer für die Absage von Fabian Wiede. Der Berliner Linkshänder der Füchse verzichtet auf die WM wegen einer Kieferoperation. Kromer findet das nur mäßig prickelnd. „Man stelle sich vor, ein Thomas Müller hätte wegen einer solchen Geschichte auf die FußballWM verzichtet”, so Kromer. „Da gibt es so etwas nicht. Ich finde Wiedes Entscheidung nicht gut, aber ich habe kein Vertragsverhältnis mit ihm. Insofern ist das eine individuelle Entscheidung des Spielers.” Verband und Bundestrainer werden nun gemeinsam entscheiden, wie sie diesen Verzicht bewerten und wie sie das in künftige Nominierungen mit einfließen lassen, weil sich die DHB-Auswahl bei dieser WM auch schon Qualitäten erarbeiten möchte mit Blick auf die EM. Wobei: Diese WM lediglich als Vorbereitungsturnier auf die Großveranstaltung im nächsten Jahr im eigenen Land zu betrachten, verbiete sich aus vielerlei Gründen. „So etwas bestätige ich niemals”, sagt Kromer. „So eine WM ist enorm wichtig, um Öffentlichkeit zu generieren, Mitglieder zu gewinnen und Partner zu befrieden.” Aber selbstredend dürfte der Verband in jedem Spiel auch ein Auge auf die Perspektive der Mannschaft für 2024 haben. Besonders im Fokus wird in diesem Zusammenhang ein Spieler stehen, der aufgrund seiner außerordentlichen Auftritte in der Liga neben dem Gummersbacher Rückraum-Linken Julian Köster (siehe Porträt in dieser Ausgabe) zum neuen Hoffnungsträger geworden ist: Juri Knorr, der gemeinsam mit Luka Witzke aus Leipzig für den deutschen Handball auf dieser lange verwaisten Mittelposition urplötzlich gewaltiges Potenzial offenbart. Der 22-jährige Spielmacher und Ideengeber hat sich bei den Rhein-Neckar Löwen nach dem Weggang von Andy Schmid freigeschwommen und rückt nun auch in der Nationalmannschaft in der Hierarchie weiter nach oben. Sein Einsatz bei der WM war lange fraglich, weil Knorr ungeimpft ist, die Regularien der IHF aber mindestens eine Doppelimpfung erfordern. Doch diesbezüglich gibt Kromer Entwarnung. „Über Juris Impfstatus möchte ich mich nicht äußern, weil das seine Gesundheitsakte ist”, sagt er. „Aber er wird dabei sein dürfen, das kann ich versichern.“ Und weiter: „Sofern Alfred ihn nominieren wird, wovon ich allerdings fest ausgehe.” Arnulf Beckmann  TV-ZEITEN Deutschland – Katar 13. Januar, ab 18 Uhr im ZDF Deutschland – Serbien 15. Januar, ab 18 Uhr in der ARD Deutschland – Algerien 17. Januar, ab 18 Uhr im ZDF Alle weiteren Spiele der deutschen Mannschaft werden ebenfalls bei ARD und ZDF zu sehen sein. Darüber hinaus zeigt der Streamingdienst sportdeutschland.tv alle Spiele der WM (siehe Serviceseite 60). Auch Eurosport wird 15 ausgewählte WM-Spiele frei empfangbar übertragen. WM-FAHRPLAN 27. Dezember: Letzter Bundesliga-Spieltag 1. Januar 2023: Treffen der DHB-Mannschaft in Hannover 2. Januar 2023: Beginn Trainingslager in Hannover 7. Januar 2023: Testspiel Deutschland – Island in Bremen 8. Januar 2023: Testspiel Deutschland – Island in Hannover 9. Januar 2023: Umzug DHB-Tross nach Barsinghausen 12. Januar 2023: Flug nach Kattowitz 13. Januar 2023: 1. WM-Spiel der DHB-Auswahl gegen Katar ALLE WM-FINALS AUF EINEN BLICK 1938 Deutschland – Österreich kein Finale 1954 Schweden – Deutschland 17:14 1958 Schweden – CSSR 22:12 1961 Rumänien – CSSR 9:8 n. V. 1964 Rumänien – Schweden 25:22 1967 Tschechoslowakei – Dänemark 14:11 1970 Rumänien – DDR 13:12 n. V. 1974 Rumänien – DDR 14:12 1978 Deutschland – UdSSR 20:19 1982 UdSSR – Jugoslawien 30:27 n. V. 1986 Jugoslawien – Ungarn 24:22 1990 Schweden – UdSSR 27:23 1993 Russland – Frankreich 28:19 1995 Frankreich – Kroatien 23:19 1997 Russland – Schweden 23:21 1999 Schweden – Russland 25:24 2001 Frankreich – Schweden 28:25 n.V. 2003 Kroatien – Deutschland 34:31 2005 Spanien – Kroatien 40:34 2007 Deutschland – Polen 29:24 2009 Frankreich – Kroatien 24:19 2011 Frankreich – Dänemark 37:35 n.V. 2013 Spanien – Dänemark 35:19 2015 Frankreich – Katar 25:22 2017 Frankreich – Norwegen 33:26 2019 Dänemark – Norwegen 31:22 2021 Dänemark – Schweden 26:24

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Foto: imago Erstaunlich reif und bodenständig Julian Köster gilt als das große Versprechen des deutschen Handballs. Es spricht kaum etwas dagegen: Der 22-jährige Gummersbacher besitzt schon heute die Abgeklärtheit eines Routiniers.

24 AUSGABE #48 6/2022 Das Oberbergische imHerbst hat durchaus seine Reize. Vor allem, wenn der Tag sonnig und klar ist und der späte November eifrig Werbung für diese oft triste Jahreszeit macht. Auch das kleine Städtchen Gummersbach erstrahlt an diesem Tag in spätherbstlicher Atmosphäre. Es ist Mittagszeit, und Julian Köster hat Pause. Der Jungprofi des VfL Gummersbach nutzt die Zeit, um HANDBALL inside das lange abgesprochene Interview zu geben. Dabei ist es der Freitag vor dem Auswärtsspiel beim THW Kiel, und wirklich niemand hätte ihm übel genommen, der Konzentration auf das Bundesligaspiel im hohen Norden den Vorzug zu geben. Doch der 22-jährige Shootingstar des VfL ist entspannt. Kann er ja auch: Die sportliche Situation seines Clubs ist aktuell deutlich besser als es viele Experten erwartet haben. Der Traditionsclub, der nach drei Jahren im Unterhaus per Aufstieg in die Bundesliga zurückgekehrt ist, spielt gut und erfolgreich und sammelt derzeit etliche Punkte, um mit dem Abstieg frühzeitig nichts mehr zu tun zu haben. Zudem kann Köster endlich auch auf die großartige Erfahrung seiner ersten rund ein Dutzend Erstliga-Auftritte zurückblicken. Ist er überwältigt, vor allem von den vielen sehr guten Auftritten seines Teams? Ach was. Sein Fazit fällt erstaunlich sachlich aus. „Ich bin nicht wirklich überrascht”, sagt er. „Ich arbeite ja jeden Tag mit der Mannschaft und sehe, wie sich das Team entwickelt. Daher kenne ich auch unsere Stärken und unsere Schwächen sehr gut.” Natürlich gibt es für ihn und seine Mannschaft in dieser Spielzeit nur ein Ziel, und das heißt Klassenverbleib. In der Bundesliga bleiben, das ist für einen Aufsteiger immer die allererste Vorgabe, erst recht, wenn der Club einen solch klangvollen Namen trägt. Und Julian Köster soll dabei einer der wichtigsten Protagonisten sein. „Die Klasse zu halten, ist die oberste Priorität”, sagt er. „Und selbst wenn es derzeit sehr gut aussieht, ist diese Sache noch lange nicht erledigt.” UNDERSTATEMENT Klingt ein wenig nach Understatement, angesichts der Ausbeute aus den ersten 15 Bundesliga-Begegnungen. Für Julian Köster ist das alles noch Neuland, weil er seine erste Spielzeit in Deutschlands höchster Handballklasse macht. Lange allerdings brauchte er nicht, um sich zu akklimatisieren. Tolle erste Eindrücke habe er schon sammeln können. Und dass er in vielen Spielen seinen früheren Idolen begegnet, findet er „ziemlich cool”. So auch im Spiel gegen Kiel, das zwei Tage nach dem Gespräch stattfand und in dem er jenem Domagoj Duvnjak gegenüberstand, den er schon seit vielen Jahren verehrt. „Und dass wir mit Flensburg einen der ganz Großen geschlagen haben, war schon unfassbar.” Als Shooter und Anspieler im linken Rückraum soll er einer der entscheidenden Faktoren sein in einer jungen Gummersbacher Mannschaft, die der erfahrene Isländer Gudjon Valur Sigurdsson über zwei Jahre mit überschaubaren finanziellen Möglichkeiten sachte und wohlüberlegt aufgebaut hat. Dabei verkörpert der 22-jährige Rechtshänder nicht unbedingt die klassische Besetzung auf der sogenannten Königsposition. Er ist kein Wurfwunder wie Julius Kühn, kein Kraftprotz wie der Die große Hoffnung auf der Königsposition in der Nationalmannschaft: Julian Köster Foto: imago

AUSGABE #48 6/2022 25 Norweger Sagosen und auch kein Stratege wie beispielsweise der Däne Mikkel Hansen oder wie der Franzose Nikola Karabatic. Aber Köster traut sich Dinge zu, hat Mut zum Risiko und nicht selten auch das Auge für den Kollegen. Und als solcher ist er spätestens seit der Europameisterschaft im vergangenen Jahr Teil der Zukunft der DHB-Auswahl. Seit Jahren fahndet die Nationalmannschaft nach einem neuen Star für die Position im linken Rückraum. Der zwei Meter große Spieler könnte diese Lücke füllen. Nicht wenige Experten vergleichen ihn bereits mit Pascal Hens – Weltmeister 2007, 565 Tore in 199 Länderspielen – und sehen in ihm den legitimen Nachfolger. Darüber kann Köster allerdings nur lächeln. „Natürlich hat sich meine Rolle verändert”, sagt er. „Aber in so etwas kann ich nur reinwachsen, wenn ich durch Leistung überzeuge.” Was ihn aber so einzigartig macht und sowohl für Vereinscoach Sigurdsson als auch für Bundestrainer Alfred Gislason so wertvoll, ist die Tatsache, dass er zudem ein überragender Abwehrspieler ist. Für die Suche nach dem idealen Nebenmann für Johannes Golla im Innenblock der Nationalmannschaft hat er sein Bewerbungsschreiben längst abgegeben. Und er hat – um im Bild zu bleiben – auch schon probearbeiten dürfen. Entweder kann er im defensiven Verbund agieren oder im 3-2-1-System als cleverer Balldieb, wo er noch stärker ist. Gut möglich, dass mit Blick auf die WM im Januar in Polen dieses Duo auch in Gislasons Gedankenspielen eine zentrale Rolle spielt. In jedem Fall aber ist davon auszugehen, dass an seiner Nominierung keine Zweifel bestehen dürften, auch wenn der Hochgelobte diesbezüglich zurückhaltend bleibt. „Das weiß ich ja jetzt noch nicht, ob ich überhaupt dabei sein werde”, sagt er. „Aber wenn ich eingeladen werde, freue ich mich sehr darüber.” Bis dahin allerdings gehört seine gesamte Konzentration dem Club und den Spielen, die er bis zum Jahresende noch zu bestreiten hat. Dort leistet er Wichtiges, auch wenn seine Performance leichten Schwankungen unterliegt. Ist aber normal, schließlich ist Köster noch nicht einmal zwei Jahre im Profihandball unterwegs. Seine sportkulturelle Selbstwerdung ist noch in vollem Gange. „Natürlich möch-  Vor drei Jahren: Julian Köster (3. von links) gewinnt Silber bei der U-19-EM Foto: imago

AUSGABE #48 6/2022 te ich in jedem Spiel am besten 20 Tore und 20 Assists machen”, sagt er und lächelt dabei. „Aber das ist halt einfach nicht möglich.” Ungeachtet dessen schätzen sie sich im Oberbergischen glücklich, das möglicherweise größte deutsche Handballtalent in diesen Jahren erst einmal langfristig an sich gebunden zu haben. Das ist insofern erstaunlich, als Köster mit seinen mitreißenden Auftritten bei der EM und dem Aufstieg mit dem VfL natürlich auch die Begehrlichkeiten anderer – und finanziell potenterer – Arbeitgeber nahezu zwangsläufig geweckt hatte. Dennoch unterschrieb er jüngst ein Arbeitspapier bis zum Sommer 2025. Möglich gemacht hat das eine Patenschaft mit einem langjährigen VfLPartner. Das Unternehmen Schwalbe, weltweit in der Herstellung von Fahrrad- und Rollstuhlreifen tätig, ist nicht nur Sponsor des Clubs, sondern hilft auch gezielt im Falle von Julian Köster. Im Gegenzug trägt der nun das SchwalbeLogo auf seinem Trikot-Ärmel. Übrigens ein in Gummersbach beliebtes Modell, das gleich mehrere Spieler und mehrere Partner leben und eine Blaupause für etliche andere Konkurrenten in der Liga sein kann. Eingefädelt hat diesen Deal Christoph Schindler, der die wirtschaftlichen Geschicke des Aufsteigers lenkt. Der Geschäftsführer weiß auch: Wer guten Zirkus will, muss die Akrobaten gut bezahlen. Jedenfalls, so sagt Köster: Gespräche mit anderen Vereinen gäbe es aktuell nicht. „Momentan bin ich mit dem Kopf und mit dem Herzen ganz beim VfL.” EINFACH DEN JOB MACHEN Klingt nicht nur bodenständig, ist auch so. Dass Köster, der vor drei Jahren mit der U19 des Deutschen Handballbundes WM-Silber gewann und schon damals zum besten Abwehrspieler des Turniers gewählt wurde, ein junger Mann ist, der auf dem Teppich geblieben ist, erstaunt angesichts der Rasanz seiner Karriere. Als Nachwuchsmann kam er im Februar 2021 vom TSV Bayer Dormagen zum oberbergischen Traditionsclub, absolvierte im November 2021 sein erstes Länderspiel, startete im Januar 2022 bei der Europameisterschaft durch und gilt heute als größte Verheißung im deutschen Handball. Er ist aktuell ein derart gefragter Interviewpartner, dass er sich von Zeit zu Zeit Zurückhaltung verordnet und Anfragen von Medien absagt. „Ich versuche, das alles nicht an mich heranzulassen”, sagt er. „Ich lese nicht so viele Dinge, die in den Medien über mich veröffentlicht werden. Ich versuche einfach nur meinen Job zu machen.” Dass ihn der ganze Rummel um seine Person nicht unruhig macht, dafür sorgen letztlich seine Familie, seine Freundin Luisa und seine Geschwister. „Wir sprechen viel über Handball, aber alle stehen mir zur Seite, wenn es mal nicht so gut gelaufen ist.” Der Draht ist eng: Die Eltern leben in Brauweiler, er selbst wohnt in Köln. Und: Mama und Papa Köster handelten früh einen Deal mit ihrem Sohn aus: Nur wenn die Schulnoten stimmen, dann darf der Filius zum Handball – ansonsten wird gebüffelt. Das galt selbst als mit dem Wechsel zu Bayer Dormagen die Weichen in Richtung Leistungshandball gestellt wurden. „Ich hatte immer Bock auf Handball und meine Freunde zu treffen”, sagt er. „Aber mir war auch klar, dass zum Profidasein auch eine Menge Glück gehört, deshalb habe ich Schule schon sehr ernst genommen.” Heute ist die gesamte Familie in der Halle, wenn Gummersbacher Erfolgsgespann: Köster und sein Trainer Gudjon Valur Sigurdsson Foto: imago

AUSGABE #48 6/2022 27 Sohn Julian spielt. Schließlich war Handball immer ein großes Thema im Hause Köster. Beide Eltern spielten selbst Handball, und immer saßen alle vor dem Fernseher, wenn große Spiele oder Welt- und Europameisterschaften übertragen wurden. Als er mit dem Handballspielen in der Jugend des TuS SW Brauweiler begann, hatte er eine ungewöhnliche Wegbereiterin: die Mutter von Fußball-Nationalspieler Florian Wirtz. Ohnehin verbindet die beiden Jung- stars ihrer Sportarten eine ganze Menge. „Wir kommen aus dem gleichen Dorf und waren zusammen auf einer Schule“, so Köster. „Es ist ganz lustig, seine Mutter war tatsächlich meine erste Handballtrainerin. Deswegen verfolge ich auch Leverkusen, besonders Florian Wirtz, ein bisschen.“ MÄNNER-WG IN KÖLN In Köln lebt er in einer klassischen Männer-WG mit einem ehemaligen Mitspieler aus Dormagener Zeiten. Aber auch Freundin Luisa wohnt nur einen Block entfernt. Die Rahmenbedingungen zum Wohlfühlen sind geschaffen, dieVerlockungenderGroßstadt vielgestalt. In Köln kann man untergehen. Ist aber kein Problem für den 22-jährigen jungen Mann. „Ich bin mit dem Leistungsgedanken groß geworden, war früh in diesen Strukturen und kenne es nicht – wie viele andere junge Menschen in meinem Alter –, die Nächte durchzufeiern.” Das einzige, was aktuell tatsächlich leidet, ist sein BWL-Studium. „Das Studium ziehe ich fast in Regelstudienzeit durch”, sagt er. „Es gibt Phasen, in denen es schwieriger ist, es mit dem Leistungssport zu vereinbaren. Aber es soll schnell beendet werden.“ Aber die Priorität liegt derzeit auf dem Handball. In der Gummersbacher Mannschaftshierarchie ist er längst weit nach oben gerückt. Köster trägt die Kapitänsbinde beim VfL; und das beeindruckt ihn. „Wenn man sich die Historie des Clubs anschaut und sieht, welche Spieler dieses Amt hier schon bekleidet haben, dann ist das eine große Ehre.” Dabei spielte Köster in der Jugend für die Gummersbacher Konkurrenz. Die Begegnungen zwischen Dormagen und dem VfL waren stets brisant, weil sie am Mittelrhein die beste Nachwuchsarbeit machten. „Aber natürlich hat man den VfL Gummersbach immer verfolgt”, sagt er. „Und einmal war ich sogar Einlaufkind bei einem Spiel in der LANXESS arena.” Es war die Belohnung für eine gewonnene Kreismeisterschaft, an wessen Hand er die große Arena betrat, weiß er allerdings nicht mehr. Heute ist er es, der mitunter von Einlaufkindern großäugig angeschaut wird. Noch fehlen Titel und Medaillen, die seine Handballvita schmücken können. Und ob er mit dem Sammeln derartiger Devotionalien bei der WM in Polen und Schweden beginnen kann, scheint fraglich. Das Team ist jung, neu formiert und noch auf der Suche nach der richtigen WM-Form. Aber in diesem Kollektiv könnte Köster ein ganz wichtiger Baustein sein. Sein Motto dabei ist einfach: „Wenn ich Handball spiele, versuche ich einfach Spaß zu haben.” Arnulf Beckmann  Seltene Gabe: Auch als Abwehrspieler gehört Köster längst zu den besten seiner Zunft Foto: imago

Foto: imago Tat den deutschen Teams schon oft weh: Rafael Capote

AUSGABE #48 6/2022 29 Das Schicksal: Rafael Capote nahm es im Juli 2007, während die Panamerikanischen Spiele in Rio de Janeiro liefen, selbst in die Hand. Der 19-Jährige aus Havanna hatte nur das, was er anhatte, und 300 US-Dollar in der Tasche. Dennoch flüchtete der Kubaner aus dem Mannschaftsquartier und nahm sich ein Taxi nach Sao Paolo. Er wolle der Armut entfliehen, sagte er. Seine Idee, in Brasilien eine Existenz aufzubauen, verwarf er schnell. Da er dort kein Geldmit demHandball verdienen konnte, reiste er 2008 weiter nach Italien. Nach nur einem Jahr in Conversano, einem Städtchen nahe Bari, entdeckten ihn spanische Scouts im EHF-Pokal, und er landete über Cuenza schließlich bei BM Logrono in Rioja. Das Schicksal: Es führte Capote auf diese Weise zu einem der besten Trainer der Welt. Valero Rivera war just mit Spanien Weltmeister geworden, nach einem sensationellen Finalsieg gegen Dänemark, als er am 9. April 2013 neuer Cheftrainer der Qatar Handball Federation wurde. Riveras Job: schon bei der HeimWM 2015 in Doha eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Daher suchte er nun nach Legionären, die bereit waren, für das Emirat zu spielen. Als das Team in Doha WM-Silber gewann, zählte Capote zu den Stützen. Er habe danach seinen beschwerlichen Weg reflektiert, berichtete der Rückraumschütze. „Es war eine Bestätigung dafür, dass mit Arbeit und Hingabe möglich ist, das Höchste zu erreichen.“ 2015 in Doha, im Viertelfinale, kreuzte das erste Mal auch die deutsche Mannschaft den Weg der Legionärstruppe aus Arabien. Nicht wenige Beobachter nannten diese Partie einen Skandal, genauso wie das katarische Achtelfinale gegen Österreich und das Halbfinale gegen Polen. Es gab dunkle Andeutungen über Korruption und Bestechung, die aber nie aufgeklärt wurden. Die Leistung des Trainers, Spieler wie Capote entwickelt zu haben, aber wurde in der Fachwelt gebührend gewürdigt. Rivera schaffte es schließlich mit seinem Team stets unter die besten Acht – so auch bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio, also in jener Stadt, aus der Capote geflüchtet war. Nun aber unterlag das Team deutlich gegen Deutschland und der Traum von der ersten Olympiamedaille einer katarischen Mannschaft platzte. Umso größer war die Sensation, als Capote, Daniel Saric & Co. nur wenige Monate später, im WM-Achtelfinale 2017, die DHB-Auswahl besiegten, die zuvor souverän durch die Vorrunde marschiert war. Es war eine der bittersten deutschen Pleiten der WM-Geschichte – und das Ende der Ära Dagur Sigurdsson. Dabei überragte Rafael Capote, der neun der 21 katarischen Tore warf und zudem stark verteidigte. Inzwischen ist Capote 35 Jahre alt, er spielt immer noch beim SC Al-Jaish und steht unzweifelhaft im Herbst seiner Karriere. Der zweite katarisierte Kubaner im linken Rückraum, Frankis Carol Marzos, der inzwischen in Kuwait spielt, ist ebenfalls 35. Aber beide wollen diesen olympischen Zyklus noch beenden und hoffen auf die nächste olympische Chance 2024 in Paris. Im Januar 2022 hat Katar die Asienmeisterschaft in Dammam gewonnen, im Finale gelang ein souveräner Sieg gegen Bahrain, das ihnen zuvor das Olympiaticket weggeschnappt hatte. Es war die fünfte Asienmeisterschaft in Folge. Worauf Rivera noch stolzer ist: dass neben weiteren, vor 2015 eingebürgerten Profis wie Spielmacher Mallash (ein Syrer) oder Kreisläufer Ben Ali (ein Tunesier) nun auch in Katar geborene Spieler zumWM-Kader gehören. „Wir sind inzwischen ein Vorbild für andere Teams aus Asien“, sagt Rivera, der seine Karriere nach Olympia beenden will. Aber auch für seine Entdeckung Capote hat sich die abenteuerliche Flucht vor 15 Jahren gelohnt. Allen Vize-Weltmeistern von 2015 verlieh der Emir danach die volle katarische Staatsbürgerschaft. Darin inklusive: rund 200.000 Dollar Bürgergeld pro Jahr. Erik Eggers  Von Havanna nach Doha Der Weg von Rafael Capote, 35, an die Weltspitze war abenteuerlich. Aus Kuba geflüchtet, ist er immer noch eine Säule des deutschen Gruppengegners Katar.

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