HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

50 AUSGABE #48 6/2022 Nick Braun war 16 Jahre alt, als er sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Der Linksaußen aus Dormagen hatte an Sichtungen des DHB teilgenommen, und er ahnte aufgrund des dortigen Niveaus, dass die Luft dünn für ihn werden würde. Aber Braun wollte doch unbedingt Nationalspieler werden! Deshalb suchte er einen Ausweg – und traktierte seine Mutter. Die konnte zwar auch seine Nominierung beim DHB nicht durchsetzen. Aber die Familie Braun wohnte seit 1996 in dem kleinen Dorf Eynatten, das ein paar Kilometer südlich von Aachen liegt, im deutschsprachigen Teil Ostbelgiens. Sie konnten daher zusätzlich die belgische Staatsbürgerschaft beantragen, erzählt Braun, „und ich habe meine Mutter so lange bearbeitet, bis sie das endlich gemacht hat.“ Als seine Mutter den belgischen Pass erhielt, wandte sich Braun an den dortigen Verband – und erhielt nun Einladungen für Lehrgänge. Es war das Anfangskapitel eines sportlichen Märchens. Denn im Januar wird Braun, wenn nichts Dramatisches passiert, mit dem Team des belgischen WMDebütanten in Malmö sein. „Es ist ein absoluter Traum“, sagt der Sportstudent, der inzwischen bei der HSG Krefeld unter Vertrag ist. Mit dem Halbrechten Raphael Kötters wird zudem ein langjähriger Weggefährte Brauns in der riesigen Arena auflaufen. „Wir haben beim TV Eynatten zusammengespielt, seit wir neun Jahre alt sind, er ist mein bester Freund“, sagt Braun über den Linkshänder, der seit 2021 im französischen Istres sein Glück als Profi versucht. Die geteilte Freude, die bekanntlich doppelte Freude ist, währt schon seit dem 19. März. Damals gewannen die „Roten Wölfe“ in Hasselt das Rückspiel in der zweiten Phase der WMQualifikation gegen die Slowakei mit 31:26-Toren und sicherten sich damit erstmals das WM-Ticket – zu diesem Zeitpunkt hatte der Weltverband bereits beschlossen, dass der Gegner in den finalen Playoffs, Russland, wegen des Überfalls auf die Ukraine nicht würde antreten dürfen. „Natürlich haben wir bei der Auslosung Glück gehabt“, sagt Braun. Zugleich wehrt er sich vehement gegen den Eindruck, die Belgier hätten im Lotto gewonnen. „Wir haben uns gegen eine starke Handballnation durchgesetzt und uns damit diese WM-Teilnahme redlich verdient“, sagt Braun. „Wir waren die bessere Mannschaft.“ Speziell ihr Torwart Jef Lettens sei ein sportlicher Riese, rühmt der Linksaußen. „Er ist unser bester Spieler.“ Nicht nur gegen die Slowakei hatte dieser geglänzt. Seine Klasse beweise der Keeper beim französischen Topclub Fenix Toulouse, sagt Braun. „Kürzlich hat er beim Sieg gegen PSG mehr als 50 Prozent der Bälle gehalten.“ Ohnehin sind die meisten Belgier in Frankreich unterwegs, weshalb im Team französisch gesprochen wird. Gegen Weltmeister Dänemark und dessen Stars Mikkel Hansen und Nik- las Landin ist sein Team freilich krasser Außenseiter, das weiß auch Braun. „Aber das wird trotzdem mein Karriere-Highlight sein, wenn wir da vor 12.500 dänischen Fans auflaufen.“ Und gegen Tunesien und Bahrain sieht das Team durchaus Chancen, sogar die Hauptrunde zu erreichen. Braun wäre noch motivierter, wenn dort Frankreich und Kentin Mahé warten würden. Der Spielmacher der Franzosen ist sein großes Idol, seit er im Februar 2017 seine Schule aufsuchte, das Norbert-Gymnasium Knechtsteden. „Wir hatten dieselbe Lehrerin“, erzählt Braun. Und dass er damals, als er im Dormagener Jugendinternat lebte, die Gelegenheit nutzte. „Kenny“, erinnert er sich lachend, „musste eine Stunde lang meine Fragen beantworten.“ Dennoch könnte es in Malmö zu einem Meeting der Dormagener Handballschule kommen. Sollten sich nämlich die USA in ihrer Gruppe gegen Marokko durchsetzen, wird Braun auf die Dormagener Brüder Ian und Patrick Hüter treffen. Was zugleich auch eine Familienzusammenführung wäre, erzählt Braun: „Patrick ist der Freund meiner Schwester.“ Erik Eggers  Sprungbrett Eynatten Als Nick Braun ahnte, dass es für die DHB-Auswahl nicht reichen könnte, half ihm seine Mutter. Nun wird der Linksaußen für die „Roten Wölfe“ bei der WM auflaufen. Ein deutsch-belgisches Märchen.

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