HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

AUSGABE #48 6/2022 29 Das Schicksal: Rafael Capote nahm es im Juli 2007, während die Panamerikanischen Spiele in Rio de Janeiro liefen, selbst in die Hand. Der 19-Jährige aus Havanna hatte nur das, was er anhatte, und 300 US-Dollar in der Tasche. Dennoch flüchtete der Kubaner aus dem Mannschaftsquartier und nahm sich ein Taxi nach Sao Paolo. Er wolle der Armut entfliehen, sagte er. Seine Idee, in Brasilien eine Existenz aufzubauen, verwarf er schnell. Da er dort kein Geldmit demHandball verdienen konnte, reiste er 2008 weiter nach Italien. Nach nur einem Jahr in Conversano, einem Städtchen nahe Bari, entdeckten ihn spanische Scouts im EHF-Pokal, und er landete über Cuenza schließlich bei BM Logrono in Rioja. Das Schicksal: Es führte Capote auf diese Weise zu einem der besten Trainer der Welt. Valero Rivera war just mit Spanien Weltmeister geworden, nach einem sensationellen Finalsieg gegen Dänemark, als er am 9. April 2013 neuer Cheftrainer der Qatar Handball Federation wurde. Riveras Job: schon bei der HeimWM 2015 in Doha eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Daher suchte er nun nach Legionären, die bereit waren, für das Emirat zu spielen. Als das Team in Doha WM-Silber gewann, zählte Capote zu den Stützen. Er habe danach seinen beschwerlichen Weg reflektiert, berichtete der Rückraumschütze. „Es war eine Bestätigung dafür, dass mit Arbeit und Hingabe möglich ist, das Höchste zu erreichen.“ 2015 in Doha, im Viertelfinale, kreuzte das erste Mal auch die deutsche Mannschaft den Weg der Legionärstruppe aus Arabien. Nicht wenige Beobachter nannten diese Partie einen Skandal, genauso wie das katarische Achtelfinale gegen Österreich und das Halbfinale gegen Polen. Es gab dunkle Andeutungen über Korruption und Bestechung, die aber nie aufgeklärt wurden. Die Leistung des Trainers, Spieler wie Capote entwickelt zu haben, aber wurde in der Fachwelt gebührend gewürdigt. Rivera schaffte es schließlich mit seinem Team stets unter die besten Acht – so auch bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio, also in jener Stadt, aus der Capote geflüchtet war. Nun aber unterlag das Team deutlich gegen Deutschland und der Traum von der ersten Olympiamedaille einer katarischen Mannschaft platzte. Umso größer war die Sensation, als Capote, Daniel Saric & Co. nur wenige Monate später, im WM-Achtelfinale 2017, die DHB-Auswahl besiegten, die zuvor souverän durch die Vorrunde marschiert war. Es war eine der bittersten deutschen Pleiten der WM-Geschichte – und das Ende der Ära Dagur Sigurdsson. Dabei überragte Rafael Capote, der neun der 21 katarischen Tore warf und zudem stark verteidigte. Inzwischen ist Capote 35 Jahre alt, er spielt immer noch beim SC Al-Jaish und steht unzweifelhaft im Herbst seiner Karriere. Der zweite katarisierte Kubaner im linken Rückraum, Frankis Carol Marzos, der inzwischen in Kuwait spielt, ist ebenfalls 35. Aber beide wollen diesen olympischen Zyklus noch beenden und hoffen auf die nächste olympische Chance 2024 in Paris. Im Januar 2022 hat Katar die Asienmeisterschaft in Dammam gewonnen, im Finale gelang ein souveräner Sieg gegen Bahrain, das ihnen zuvor das Olympiaticket weggeschnappt hatte. Es war die fünfte Asienmeisterschaft in Folge. Worauf Rivera noch stolzer ist: dass neben weiteren, vor 2015 eingebürgerten Profis wie Spielmacher Mallash (ein Syrer) oder Kreisläufer Ben Ali (ein Tunesier) nun auch in Katar geborene Spieler zumWM-Kader gehören. „Wir sind inzwischen ein Vorbild für andere Teams aus Asien“, sagt Rivera, der seine Karriere nach Olympia beenden will. Aber auch für seine Entdeckung Capote hat sich die abenteuerliche Flucht vor 15 Jahren gelohnt. Allen Vize-Weltmeistern von 2015 verlieh der Emir danach die volle katarische Staatsbürgerschaft. Darin inklusive: rund 200.000 Dollar Bürgergeld pro Jahr. Erik Eggers  Von Havanna nach Doha Der Weg von Rafael Capote, 35, an die Weltspitze war abenteuerlich. Aus Kuba geflüchtet, ist er immer noch eine Säule des deutschen Gruppengegners Katar.

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