HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

98 AUSGABE #48 6/2022 STORY Das Thermometer zeigt über 30 Grad, als am 24. August 2022 in der Dortmunder Strobelallee insgesamt sieben Personen in den Geschäftsräumen des Ballspielvereins Borussia Dortmund zusammenkommen. Gastgeber sind Andreas Heiermann, der Abteilungsleiter Handball, sowie dessen Stellvertreter Rupert Thiele, außerdem dabei sind die BVBProfis Mia Zschocke und Amelie Berger. Weite Anreisen haben Zschockes Mutter Andrea, Bergers Vater Oliver sowie der Berater der beiden Spielerinnen, Björn Schultz. Während die Sonne Westfalens brennt, diskutieren die Teilnehmer ein überaus heikles Thema. Die beiden Spielerinnen werfen ihremTrainer André Fuhr nicht weniger als dauerhafte psychische Gewalt vor, sie erklären, sie könnten unter ihm nicht weiterspielen. Die Sitzung, die um 11.45 Uhr von Heiermann eröffnet wird, findet in hitziger Atmosphäre statt, und dies nicht wegen der hohen Temperaturen. Fast drei Stunden sitzen die sieben zusammen. Die Hoffnung der beiden Nationalspielerinnen auf eine Lösung ihrer Probleme erfüllt sich nicht. An diesem heißen Sommertag braut sich also eines der größten Unwetter in der Geschichte des deutschen Handballs zusammen – auch wenn nicht alle in der Runde die Dimensionen erfassen. Nicht nur über den BVB, auch über den Deutschen Handballbund, dessen Geschäftsstelle nur wenige hundert Meter entfernt liegt, wird zwei Monate später ein Sturm der Entrüstung hinwegfegen – als das Magazin Der SPIEGEL am 21. Oktober enthüllt, wie viele Handballerinnen sich in den vergangenen 16 Jahren von diesem Trainer gedemütigt und missbraucht fühlten und vor ihm flüchteten. Die Eltern der Spielerinnen ahnen nicht, dass dies erst der Beginn eines Kampfes ist, der auch sie an ihre körperlichen und seelischen Grenzen bringen wird. Aber in diesem Moment ist Andrea Zschocke so erzürnt über dieses Meeting, dass sie es zum Anlass nimmt, fortan über alles Protokoll zu führen, gemeinsam mit Oliver Berger. Man sei danach „ratlos auseinander“ gegangen, heißt es in ihremReport, der über 70 Seiten umfasst und HANDBALL inside exklusiv vorliegt. KLARSTELLUNG Das ganze Verfahren habe allen, in erster Linie den Spielerinnen, aber auch den Eltern „unvorstellbare Kräfte geraubt“, schreiben sie. Die Eltern der Spielerinnen kennen sich schon lange, da ihre Töchter bereits gemeinsam in Leverkusen spielten. Warum sie nun Einblick in ihr Dossier gewähren? Weil sie klarstellen wollen, dass dieser Skandal nur öffentlich wurde, weil ihre Töchter keine andere Chance hatten, sich aus ihrer Bredouille zu befreien. Die Eltern kennen die abenteuerlichen Gerüchte, wonach der Berater den Skandal lanciert habe. Beide haben vernommen, dass vorwiegend männliche Funktionäre tatsächlich behaupten, die beiden Spielerinnen hätten nur nach einem Vorwand gesucht, um ablösefrei zu wechseln. Gerüchte, die auch deshalb entstehen, weil die beiden Handballerinnen Stillschweigen vereinbarten, als sie den BVB verließen. Ihre Töchter dürfen also nicht sprechen über die Gründe, die zu vielen verweinten Nächten führten. Die Unternehmerin Andrea Zschocke, 59, und der promovierte Biochemiker Oliver Berger, 57, aber dürfen frei reden. Und das tun sie. Denn sie sind immer noch empört über die großen Widerstände, die ihre Töchter in Dortmund überwinden mussten. Ihr Bericht ermöglicht einen erschütternden Einblick in die vergeblichen Versuche zweier Spielerinnen, ihren Vorgesetzten klarzumachen, in welch auswegloser Lage sie sich befanden. Er beschreibt, wie sich trotz ihres Mutes, die Missstände zu benennen, ihre verzweifelte Lage nicht spürbar verbesserte. Im Gegenteil: Sie wurde dadurch noch schwieriger. Und er zeigt auf, dass der Umgang der Handball-Verantwortlichen beim Das Protokoll Mit ihren Kündigungen beim BVB machten Mia Zschocke und Amelie Berger die Vorwürfe gegen Trainer André Fuhr öffentlich. Der Report ihrer Eltern erklärt, warum sie dazu gezwungen waren. Und wie belastend das für sie und ihre Familien war.

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