HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

70 AUSGABE #48 6/2022 Anfang November haben Berlins Boulevard-Medien eine schöne Schlagzeile produziert – sie wurde ihnen aber auch auf dem Silbertablett serviert. Die Füchse, bis dahin ungeschlagener und souveräner Bundesliga-Tabellenführer, hatten tags zuvor in Minden verloren. Dabei war so ziemlich alles schiefgelaufen, was hätte schieflaufen können: Hans Lindberg sah im fortgeschrittenen Sportleralter von 41 Jahren die erste Rote Karte seiner langen, langen Bundesliga-Karriere, die obendrein auch noch absolut unberechtigt war. Lindbergs Vertreter auf Rechtsaußen, Valter Chrintz, zog sich wenig später eine Knieverletzung zu, die sich als genau so schlimm herausstellen sollte, wie beim ersten Betrachten der Fernsehbilder zu befürchten war: Kreuzbandriss und Meniskusschaden bedeuteten das frühe Saison-Aus für den jungen Schweden. Danach standen die Berliner plötzlich neben ihren Schuhen und wirkten wie schlechte Doubles in Original-Trikots. Das Spiel kippte komplett – und am Ende wies die Anzeigetafel ein Ergebnis aus, das nicht weniger sensationell als das Drehbuch an diesem Nachmittag daherkam: 27:32 hatte der Erste beim bis dato punktlosen Letzten verloren. ANSPRUCHSDENKEN Trainer Jaron Siewert wurde wenige Tage später mit folgendem Satz zitiert: „Wenn wir anfangen, schon am zwölften Spieltag auf die Tabelle zu schauen oder sich jemand diese Momentaufnahme in den Spind hängt, der ist falsch bei mir.“ Daraus machten die Revolverblätter der Hauptstadt dann folgende Headline, natürlich in großen Lettern und mit dickem Ausrufezeichen: Füchse-Coach Siewert verbietet Spielern den Blick auf die Tabelle! Paul Drux muss ein wenig schmunzeln, wenn er auf die Aussage angesprochen wird. „Bei uns hat ohnehin niemand die Tabelle im Spind hängen, da muss sich Jaron keine Sorgen machen“, sagt er und ergänzt: „Man sagt es gefühlt zwar in jedem Jahr, aber jetzt ist die Spitze noch einmal enger zusammengerückt. Es sind ja wirklich fünf Teams, die alle das Zeug haben, Deutscher Meister zu werden. Deshalb ist eigentlich auch noch gar nichts passiert. Es bleibt ganz sicher bis zum Schluss spannend und umkämpft.“ Andererseits verdeutlicht die Anekdote auch das gestiegene Anspruchsdenken des Clubs im 15. Jahr der Bundesliga-Zugehörigkeit seit dem Wiederaufstieg. Die Füchse sind – um die Metaphorik aus ihrer Vereinshymne zu bemühen – längst vom Jäger zum Gejagten geworden. Die Prognosen vieler Experten sind mittlerweile Realität geworden: Es sieht stark danach aus, als könnten die Berliner in dieser Saison bis zum Schluss ein ernstes Wörtchen bei der Titelvergabe mitreden. Woran liegt das? Was macht die Füchse aktuell so stark? Abgesehen von Geschäftsführer Bob Hanning gibt es wahrscheinlich keinen besseren Kronzeugen zur Erörterung dieser Fragen als Paul Drux. Mit 15 Jahren hat der gebürtige Gummersbacher die Heimat als hoch gehandeltes Talent in Richtung Nachwuchsakademie der Füchse verlassen. Seither stand er bei jedem großen Titelgewinn der Berliner auf der Platte, ist gemeinsam mit Fabian Wiede dienstältester Angestellter im Kader und – beinahe logisch – auch zum Kapitän befördert worden. Drux sagt also: „Es ist ja nicht so, dass wir plötzlich und über Nacht eine so starke Truppe geworden sind. Das haben wir Oldie but Goldie: Dänemarks Hans Lindberg, 41 Foto: Beate Haar

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