HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

„Wir haben eine andere Handball-Kultur“ Trainer Nikolaj Jacobsen führte Dänemark zu zwei WM-Titeln. Im Interview spricht der 51-Jährige über die Herausforderungen seines Jobs und den Stellenwert des Handballs in seiner Heimat. Nikolaj, die Weltmeisterschaft naht. Wie ist es Dir in den vergangenen Wochen gelungen, Kraft für das Turnier zu sammeln? Nikolaj Jacobsen: Ich kann sehr gut entspannen, wenn ich Handball sehe. Es tat aber auch gut, nach dieser schwierigen Corona-Zeit und einem anschließenden Jahr mit Weltmeisterschaft, Olympischen Spielen und Europameisterschaft ein wenig Ruhe und einen normalen Sommer zu haben. Nutzt Du zur Entspannung auch den Whirlpool, denDir dieRhein-Neckar Löwen2019 zu Deinem Abschied geschenkt haben? Jacobsen: Das Wasser ist gerade nicht so heiß, die Kosten sind einfach zu hoch (lacht). Du bist viel in den Hallen in Deutschland und Dänemark unterwegs. Seit dieser Saison gibt es als Anwurfzone einen Mittelkreis mit einem Durchmesser von vier Metern. Die Spieler müssen den Anwurf nicht mehr mit einem Fuß auf der Mittellinie stehend ausführen, sondern innerhalb der Anwurfzone. Verändert sich der Handball dadurch gerade in Richtung eines extremen Laufspiels? Jacobsen: Das ist der Trend, vor allem im Herren-Handball. Leider wird die neue Regel nicht ganz eingehalten. Inwiefern? Jacobsen: Der Anwurf erfolgt im Mittelkreis. So weit, so gut. Aber alle anderen Mitspieler dürfen nicht die Mittellinie überschreiten. Das sagt die Regel. Daran hält sich allerdings fast keiner. Und die Schiedsrichter schaffen es bislang auch nicht, das richtig zu beurteilen und zu unterbinden. Zu welchen Folgen führt das? Jacobsen: Das schadet dem Handball. Es wird einfach nur noch gelaufen und kaum mehr Handball gespielt. Ich sehe Außenspieler, die zwei Meter in der gegnerischen Hälfte stehen, und niemand pfeift das ab. Das ist ein Problem. Und wenn das so weitergeht, dann brauchen wir die Anwurfzone auch nicht. Dann können wir einfach nur noch den Ball irgendwohin nach vorne werfen und losrennen. Leidet unter der jetzigen Umsetzung die Attraktivität des Sports? Jacobsen: Ja. Ich finde den Handball, so wie er gerade bevorzugt gespielt wird, unglaublich langweilig. Es geht nur darum, schnell zu rennen. Da schaue ich mir wirklich zehnmal lieber Sieben gegen Sechs an. Ist es durch die neue Anwurfzone gefährlicher geworden, Sieben gegen Sechs zu spielen? Jacobsen: Ja, das schon. Aber egal ob Sechs gegen Sechs oder Sieben gegen Sechs. Es bleibt das Grundproblem: Die Regel wird nicht eingehalten. Schaust Du Dir auch Frauenhandball an, etwa die zurückliegende EM, um ein Gefühl für Trends zu bekommen? Jacobsen: Grundsätzlich ist es der gleiche Sport, er wird nur in einem unterschiedlichen Tempo gespielt. Und wenn ich die Entwicklung vergleiche, dann finde ich: Bei den Frauen ist viel mehr Handball drin als bei den Männern. Da geht es um das Spiel an sich – und eben nicht nur um Tempo, Tempo, Tempo. Wie wichtig ist bei der Kadernominierung für Dich, wer aktuell gerade super in Form ist? Oder haben gewisse Spieler auch einen Bonus, weil Du Dich in der Vergangenheit immer auf sie verlassen konntest? Jacobsen: Eigentlich suche ich jetzt nur noch Spieler, die vor allem schnell rennen können (lacht). Nein, ernsthaft: Natürlich schaue ich darauf, wer gerade gut in Form ist. Vor allem, wenn es mehrere Spieler für eine Positi-  AUSGABE #48 6/2022 43

RkJQdWJsaXNoZXIy MzU2MjQ=