HANDBALL inside | Ausgabe #48 6/2022

88 AUSGABE #48 6/2022 Andreas Michelmann hatte kein gutes Gefühl. Der Präsident des Deutschen Handballbundes fühlte sich an die schlimmsten Corona-Zeiten erinnert, als die vorsichtige deutsche Politik den Profihandball vor Zuschauern in der Halle verbot und die Liga eine Meisterschaft vor Geisterkulissen und leeren Tribünen austragen musste. Diesmal allerdings sprach der Chef der deutschen Handballer über die Europameisterschaft der Frauen, die in Montenegro, Nordmazedonien und Slowenien ausgetragen wurde. Spielten in Vor- und Hauptrunde die jeweiligen Gastgeber, waren die Tribünen vollbesetzt, standen allerdings die Begegnungen anderer Teams auf dem Programm, herrschte gähnende Leere im weiten Rund der Hallen. Das konnte weder den Gastgebern noch den Veranstaltern gefallen. Und schon gar nicht den spielenden Mannschaften. „Es ist aus meiner Sicht eine Frage des Respekts, dass sich die Leute bei einer EM auch die Spiele anderer Mannschaften anschauen“, sagte DHB-Präsident Michelmann am Tag vor den beiden Halbfinals. „Es ist natürlich etwas anderes, ob du gegen Montenegro vor 4.000 frenetischen Zuschauern spielst, die ihre Mannschaft fanatisch anfeuern, oder Kulissen vorfindest, bei der jede Bezirksliga-Mannschaft mithalten kann.” Als der Präsident dieses Fazit zog und dem 15. kontinentalen Kräftemessen der Frauen und deren Organisatoren ein mäßiges Zeugnis ausstellte, waren die deutschen Damen schon nicht mehr im Turnier. Nach schwacher Vorrunde und einer Leistungssteigerung in der Hauptrunde reichte es für das Team von Trainer Markus Gaugisch zu guter Letzt immerhin noch zu einem schmeichelhaften siebten Rang. Später wurde es zwar besser, die Koffer mussten dennoch vorzeitig gepackt werden – ein Gefühl, das die deutschen Ballwerferinnen schon seit 2007 kennen, als mit WM-Bronze zum bislang letzten Mal eine Medaille gewonnen werden konnte. Mit dem Abschneiden mag man dieses Mal zufrieden sein im deutschen Tross, auch wenn wieder einmal ein Halbfinale bei einer Großveranstaltung verpasst wurde. Insgeheim aber hatten sich die Verantwortlichen möglicherweise mehr ausgerechnet. „Das Ergebnis ist nicht außerhalb des erwartbaren Rahmens”, sagte Axel Kromer in seiner ersten Analyse. „Wir haben allerdings andere Ziele und streben mittelfristig Platzierungen an, die weiter oben sind.” Wenn der Vorstand Sport des Verbandes das sagt, hat er natürlich die Olympischen Spiele 2024 in Paris und die Heim-WM im Dezember 2025 im Hinterkopf, wo die Mannschaft erfolgreich spielen soll. Bis dahin – das haben die Auftritte bei der EM gezeigt – wartet noch viel Arbeit auf die deutschen Handballerinnen. Insofern war es zumindest in den ersten Begegnungen gut, dass es nur ausgewählte Zeitzeugen gab. Vor allemmit Blick auf die Vorrundenspiele gegen Polen und gegen Spanien war es möglicherweise sogar ein Segen, dass die Spielstätten bei deutschen Spielen nur schwach besucht waren und die gesamte Veranstaltung hierzulande im Livestream und nicht im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen war. „Positiv betrachtet, haben wir unsere Position im Welthandball bestätigt”, so Kromer. „Negativ betrachtet kann man sagen, dass wir keinen Schritt vorangekommen sind.” KURIOSER MODUS Wenn man diesen Spielen Qualität abringen soll, dann, dass die Mannschaft gegen schwache Polen nach Rückstand zurückkam, gegen Gastgeber Montenegro und gegen die fanatische Kulisse lange Zeit bestehen konnte und dass man gegen Spanien mit einer knappen Niederlage immerhin die Hauptrunde erreichen konnte. Wobei die Spielweise der Gegnerinnen von der iberischen Halbinsel in der Schlussphase darauf ausgerichtet war, den kuriosen Modus zu nutzen, denn ein Sieg mit mehr als drei Treffern Differenz hätte den Polinnen das Weiterkommen ermöglicht und die Spanierinnen mit 0:4 statt mit 2:2-Punkten in die Hauptrunde geschickt. Mehrmals wurde kurz vor Ende aus Sicht der Spanierinnen unmotiviert und fahrig aufs Tor geworfen. Mehr noch: Als Xenia Smits auf zwei Tore verkürzte und damit das spanische Wunschergebnis herstellte, jubelte eine Spielerin des Gegners frenetisch. Das war im Sinne der Spanier, ganz sicher aber nicht im Sinne des Sports. Die ausgeschiedenen Polinnen jedenfalls fühlten sich um den Lohn ihrer Arbeit betrogen. Diesen Modus gilt es zu überdenken. Abgesehen davon war das Match auch aus deutscher sportlicher Sicht kein Glanzstück. „Gerade das Spiel geDAS ALL-STAR-TEAM DER EM 2022 MVP: Henny Reistad (NOR) Torhüterin: Cleopatre Darleux (FRA) Linksaußen: Emma Friis (DEN) Rückraum Links: Cristina Neagu (ROU) Rückraum Mitte: Stine Oftedal (NOR) Rückraum Rechts: Katrin Klujber (HUN) Rechtsaußen: Jovanka Radicevic (MNE) Kreisläuferin: Pauletta Foppa (FRA) Abwehr: Kathrine Heindahl (DEN)

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